Ich habe vor kurzem einen Artikel in einer Yogazeitschrift gelesen, in dem es um die Würde der Menschen ging. Und dieser Artikel geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Zudem war ich diese Woche auf einem Demokratie-Workshop und so habe ich das Bedürfnis hier wieder über ein Thema zu schreiben.
Den 1. Artikel unseres Grundgesetzes kennen wir alle: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Dieser Satz geht sehr leicht von den Lippen. Ich schätze mal, dass die allermeisten Deutschen diesen Artikel kennen, zitieren können und ihn auch als wichtig einschätzen.
Aber stimmt das auch? Wie sieht es denn im Alltag aus?
Was ist mit der Würde der Menschen, die nach Deutschland kommen, weil sie in ihrer Heimat nicht mehr leben können? Die von Gewalt bedroht sind! Die auf der Straße leben! Die im Internet oder auch anderswo beschimpft werden! Die demokratische Werte vertreten und dafür angefeindet werden. Die Mobbing erleben! Schlechten Arbeitsbedingungen oder Wohnverhältnissen ausgesetzt sind! Die Liste kann wohl beliebig fortgeführt werden.
All das gibt es in Deutschland und trotzdem steht der Artikel zum Schutz der Menschenwürde an erster Stelle unseres Grundgesetzes.
Wann wird die Würde eines Menschen angegriffen? Wann fühlt sich ein Mensch in seiner Würde verletzt?
Was ist eigentlich Würde?
Im Yoga gibt es für das Wort Würde mehrere Begriffe.
Shri, Adhikara, Mahatmya.
Zusätzlich bedeuten sie:
Shri = Glück, Licht, Strahlen, Schönheit, Wohlstand, Wohlgefallen, Befriedigung. Shri drückt Respekt und gleichzeitig Nähe aus.
Ahikara = Regierung, Amt oder Recht. Adhikari ist jemand, der sich darum bemüht, Autorität und Würde zu erreichen.
Wörtlich bedeutet Adhikari: Jemand der würdevolle ist und den Wert hat, unterwiesen zu werden.
Mahatmya = Größe oder Erhabenheit.
Ich finde alles zusammen drückt auch unser Wort Würde aus bzw. besitzt jemand diese Eigenschaft strahlt er/sie Würde aus.
In Deutschland haben wir für das Wort „Würde“ Definitionen:
Eine die mir gut gefallen hat, habe ich auf Grundrechteschutz.de gefunden. Hier versteht man unter Menschenwürde „die Vorstellung, dass alle Menschen unabhängig irgendwelcher Merkmale, wie etwa Herkunft, Geschlecht oder Alter denselben Wert haben, da sie sich alle durch ein dem Menschen einzig gegebenes schützenswertes Merkmal auszeichnen, nämlich der Würde.“.
Anders gesagt: Jeder Mensch besitzt, einfach nur, weil er ein Mensch ist, einen Wert und Würde.
(Der Vollständigkeit halber möchte ich hier noch anmerken, dass es eine bewusste Reaktion auf den Nationalsozialismus war, die Menschenwürde im Grundgesetz zu verankern… und wie ich finde nach wie vor brandaktuell.)
Warum aber fühlt es sich so an, als respektierten immer mehr Menschen die Würde der anderen nicht (mehr)?
Um dieser Frage nach zu gehen, habe ich mir u.a. ein Interview mit dem Hirnforscher Dr. Gerald Hüther auf YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=kO5cwpZdrDI) zum Thema Würde angesehen. Er geht davon aus, dass jedes Kind mit einer Vorstellung über die „richtige“ Beziehung zu seiner Bezugsperson auf die Welt kommt. Wenn Kinder das Glück haben, dass sich die Bezugspersonen an dieser Vorstellung orientieren und diese geachtet wird, können die Kinder ihre eigene Identität und Würde entwickeln.
Hüther geht weiter davon aus, dass Menschen, die sich ihrer eigenen Würde bewusst sind, andere Menschen nicht verletzten oder missachten!!!
Um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen oder um bei anderen Anerkennung zu erhalten, verletzten wir häufig unsere eigene Würde. Aus diesem Grund beginnen wir uns selbst zu verachten. Deshalb entwickeln wir Konzepte um die Verletzungen uns selbst gegenüber vertreten zu können.
Um diese Verhalten zu erklären nennt Hüther das Beispiel eines Bettlers.
Wenn wir die Würde eines Bettlers tatsächlich achten würden, müssten wir uns eigentlich zu diesem Menschen setzen, mit ihm sprechen, ihm Essen und Unterkunft anbieten… nachdem wir ihn um sein Einverständnis gebeten haben.
In der Regel tun wir dies nicht.
Wir gehen an Obdachlosen vorbei und beachten sie kaum, wohlwissend, dass wir Unterstützung anbieten könnten.
Dass wir einfach so vorbei gehen, bringt unser Wertesystem durcheinander (auch wenn wir dies nicht bewusst wahrnehmen.)
Um unsere innere Ordnung wieder herzustellen, rechtfertigen wir unser Handlung mit Gedanken, wie beispielsweise: „Der Mensch ist selbst schuld an seiner Situation, wenn er wollte könnte er ja arbeiten.“ „Er nimmt sowieso keine Hilfe an, wenn ich sie ihm anbiete.“ etc… und das obwohl wir nichts über diesen Menschen wissen, nie mit ihm gesprochen haben, geschweige denn eine Ahnung davon haben, welchen Hintergrund dieser Mensch hat.
Die gleichen Mechanismen funktionieren auch in anderen Situationen. So legen wir uns unsere Welt zurecht, wie es uns in Kram passt.
Ob es um Klimaschutz geht, Umgang mit andersdenkende/-aussehenden Menschen, Arbeitsbedingungen, Unrecht welches wir wahrnehmen, uvm.. Wir sind gut darin Konzepte zu entwickeln, warum wir jetzt gerade nicht so handeln können, wie wir es eigentlich für richtig befinden.
Vorweg: Konzepte sichern uns unser Überleben. Wir müssen sondieren, sonst werden wir wahnsinnig. Wir können nicht ständig handeln und agieren und gegen das Unrecht in der ganzen Welt kämpfen.
Oft sind wir ja auch tatsächlich machtlos… hätte ich z.B. eine Ahnung, was ich legal gegen diesen grässlichen, blondgefärbten, machtmissbrauchenden Mann in den USA tun könnte, ich würde es angehen!!!
Aber kommen wir zu unserem eigenen, kleinen Kosmos zurück, so glaube ich, allzu oft machen wir es uns auch sehr bequem und sehen über viele Dinge hinweg, bei denen wir tatsächlich etwas tun könnten.
Swami Sivananda (ein bekannter Yoga-Meister) sagte zum Thema Würde:
„Würde ist die Erhebung des Geistes oder des Charakters. Es ist das Maß der hervorragenden Eigenschaften. Es ist Stattlichkeit des Charakters und der Manieren und es bedeutet Klarheit des Verhaltens.“
Charakter, hervorragenden Eigenschaften, Geist, Manieren…angelegt sind diese Eigenschaften in uns. Ich wünschen mir, dass wir alle sie wieder viel mehr kultivieren. Wir mehr Klarheit im Verhalten zeigen und sowohl für uns selbst als auch für andere einstehen, dort wo wir es können.
Wenn Euch der Blog gefällt/ihr ähnliche Gedanken habt, dann schickt ihn bitte weiter. Wir können uns nicht oft genug daran erinnern, dass wir auch in unserem kleinen Kosmos etwas zum Klima ( in dem Fall meine ich das SOZIALE) beitragen können!
Namasté
Eure Christine
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